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Berlin (kobinet) Norbert Blüm (CDU), geboren am 21.07.1935, ist gestern im Alter von 84 Jahren verstorben. Er war 16 Jahre lang Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Er galt als Erfinder der sozialen Pflegeversicherung, die1995 als fünfte Säule des Sozialversicherungssystems eingeführt wurde. Legendär auch seine Plakat-Aktion zur sicheren Rente. Eine kleine behindertenpolitisch-historische Würdigung hat Dr. Martin Theben für die kobinet-nachrichten vorgenommen. Dabei richtet er u.a. den Blick auf einen der ersten Auftritte des Ministers im Deutschen Bundestag.
Beitrag von Dr. Martin Theben
Norbert Blüm (CDU), geboren am 21.07.1935, ist gestern im Alter von 84 Jahren verstorben. Er war 16 Jahre lang Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Er galt als Erfinder der sozialen Pflegeversicherung, die1995 als fünfte Säule des Sozialversicherungssystems eingeführt wurde. Legendär auch seine Plakat-Aktion zur sicheren Rente. Für eine kleine behindertenpolitisch-historische Würdigung sei der Blick auf einen der ersten Auftritte des Ministers im Deutschen Bundestag gerichtet.
Es handelt sich um einen Auszug aus einem längeren Text zum UNO-Jahr der Behinderten 1981 und den Protesten der Krüppelbewegung: Erst gegen Ende des Jahres, am 9. Dezember 1982, zog der Bundestag eine kleine Bilanz des UNO-Jahres. Anlass hierzu bot unter anderem eine Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP, also der ehemaligen Regierungskoalitionen. Der Titel der entsprechenden Bundestagsdrucksachen 9/1155 und 9/1635 lautete: BEHINDERTENPOLITIK NACH DEM INTERNATIONALEN JAHR DER BEHINDERTEN 1981. Richtete sich die Große Anfrage ursprünglich noch an die alte Bundesregierung, musste sie nach dem Regierungswechsel vom 1. Oktober 1982 jetzt von den Vertretern der christlich-liberalen Regierung erneut behandelt werden.
Die bereits erwähnte Bundestagsdebatte vom 9. Dezember 1982 nahm ihrerseits tatsächlich wenig Bezug auf das abgelaufene UNO-Jahr. Neben der Großen Anfrage behandelte sie im übrigen zugleich auch die finanzielle Aufstockung der Contergan-Stiftung, oder wie sie damals offiziell hieß: STIFTUNG FÜR DAS BEHINDERTE KIND. Vor allem gab sie dem frischgebackenen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Norbert Blüm (CDU) ein Bühne.
Norbert Blüm gehörte zu den dienstältesten Bundesministern und gehörte von 1982-1998 als Bundesarbeits- und Sozialminister allen fünf Bundeskabinetten unter Bundeskanzler Helmut Kohl an. Dem Deutschen Bundestag gehörte er als Abgeordneter von 1972-1981 und dann wieder von 1982-2002 an. In dem einem Jahr der Unterbrechung gehörte er dem Senat von Berlin unter dem Regierenden Bürgermeister von Berlin Richard von Weizsäcker (CDU) an.
Während der Debatte im Bundestag ging der Minister nur an einer Stelle seiner Rede kurz auf das UNO-Jahr ein und erfreute sich am wachsenden Bekanntheitsgrad von Menschen mit Behinderungen in der Bevölkerung: „Ich will positiv erwähnen, daß das Internationale Jahr der Behinderten offensichtlich doch einen Bewußtseinsschub geschaffen hat. Zu Beginn dieses Jahres haben 32 % der Bürger — jeder dritte Bürger! — auf die Frage, ob sie einen Behinderten kennen, mit Nein geantwortet. Am Ende dieses Jahres waren es nur noch 8 %. Ich glaube, daß Bewußtsein sehr viel schaffen kann. Das beste Gesetz nützt nichts, wenn es nicht vom entsprechenden Bewußtsein aufgefangen wird.“
Aber auch ansonsten ließ sich Norbert Blüm mit bemerkenswerten Äußerungen vernehmen: „Es ist eine Lebenslüge, mit der sich diese Gesellschaft eine heile Welt herstellt, wenn sie sich die Behinderten und all diejenigen, die nicht ins Leistungskorsett dieser Gesellschaft passen, aus dem Gesichtskreis schafft. Der normale Platz des Behinderten muß das Zentrum des Lebens sein, nicht der Stadtrand. Im Zentrum des Lebens sind die Behinderten unsere Nachbarn!“ (…) „Wir müssen uns vor einer Verheimung der Gesellschaft schützen; die ist nicht nur kostspieliger, sondern auch unmenschlicher.“ Schließlich ließ sich der Minister in seiner Rede, offenkundig unter dem Eindruck der Proteste gegen das Frankfurter Reise-Urteil, sogar zu einer Art Boykott-Aufruf hinreißen: „Wir müssen so etwas wie eine Koalition gegen die Rücksichtslosigkeit schaffen. Zu dem, der sich gegenüber Behinderten in Urlaubsorten rücksichtslos verhält, der Behinderte ausschließt, sollten auch die Nichtbehinderten nicht fahren.“.
Fast alle anderen Debattenbeiträge mieden es, direkt auf das UNO-Jahr einzugehen. Lediglich der FDP-Abgeordnete Friedrich Neuhausen erweckte den Eindruck, als habe er die Botschaft und die gesellschaftspolitische Bedeutung der Protestler aus der Krüppelbewegung verstanden: „Zum internationalen Jahr der Behinderten 1981 möchte ich nur noch zwei Sätze sagen. Zu den positivsten Ergebnissen dieses Jahres, das auch zu Recht problematisiert wurde, gehört, daß vor allem auf zwei Ebenen verstärkt Aktivitäten geweckt wurden. Das ist einmal die Ebene der Kommunalpolitik, auf der das Aufeinanderzugehen von behinderten und nicht behinderten Menschen in einer Vielzahl von Initiativen stattfand. Zum anderen spreche ich das verstärkte Selbstbewußtsein der Selbsthilfegruppen von Behinderten an. Dieses berechtigte Anliegen nach mehr Mitwirkung, das sich auf alle Gebiete des Zusammenlebens, insbesondere auf eine Mitwirkung bei der Gesetzgebung erstreckt, muß von uns Politikern aufgenommen und nachhaltig unterstützt werden. Hier ist jeder einzelne von uns persönlich und in seinem politischen Fachbereich gefordert.“