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Happy Birthday Gusti Steiner

Dr. Martin Theben
Dr. Martin Theben
Foto: sch

Berlin (kobinet) Der "Chronist" aus Berlin, der am 8. Mai an die Demonstration zum Frankfurter Reiseurteil von 1980 erinnerte, hat erneut zugeschlagen. Die kobinet-nachrichten erreichte das nachfolgende historische Fundstück, das vom Autor als authentisch bezeichnet wird. Im folgenden veröffentlichen wir den Text des Berliner Rechtsanwalts und Hobby-Historikers Dr. Martin Theben zum Gedenken an Gusti Steiner, der heute 82 Jahre alt geworden wäre.

Happy Birthday Gusti Steiner

Bericht von Dr. Martin Theben

Der langjährige Aktivist und Mitbegründer der emanzipatorischen Behindertenbewegung wäre heute 82 Jahre alt geworden. Gusti Steiner wurde am 21. Mai 1938, also mitten hinein in den Nationalsozialismus geboren. Gott sei Dank entging er den rassistischen und eugenischen Massenmorden und überstand den Zweiten Weltkrieg. Der Kampf gegen die neo-eugenischen Thesen eines Peter Singers oder eines Hans-Henning Atrott, den ehemaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben in den 80ziger Jahren gehörte dann auch zum Schwerpunkt seiner politischen Aktivitäten.

Diese begannen schon 1973/74 gemeinsam mit dem Publizisten Ernst Klee im Frankfurter Volkshochschulkurs „Bewältigung der Umwelt“. Dort ging es, wie man es heute wohl bezeichnen würde, um „Empowerment“. Die Teilnehmer*innen sollten ganz aktiv und auch konfrontativ die Barrieren ihrer Umwelt bewältigen. Als Ergebnis dessen kam es zum Beispiel in Frankfurt a.M. 1974 zu einer vielbeachteten Strassenbahnblockade. So sollte der nicht barrierefreie Nahverkehr angeprangert werden. Gusti Steiner stellte sich dabei buchstäblich einer Strassenbahn in den Weg. Unvergessen auch seine kämpferischen Reden auf der Demonstration gegen das Frankfurter Behindertenurteil am 8. Mai 1980 oder während der Störungen der Eröffnung des UNO-Jahres der Behinderten in Dortmund Ende Januar 1981. Dort sagte Gusti Steiner u.a.: „Leute! Keine Rede, die in diesem Jahr auf uns, über uns, oder z.T. mit uns gehalten wird, ist es Wert angehört zu werden, weil keine dieser Reden unsere Situation verändert“. Und es ist manchmal nicht übertrieben zu sagen, es wäre so geblieben – möchte man ihm erwidern.

Weniger bekannt ist vielleicht, dass Gusti Steiner 1981 im Rahmen eines Projektes von Lehramtsstudierenden an der Uni Dortmund Grundschulkindern im wahrsten Sinne des Wortes Einblicke in seinen Alltag bot. Seine auf Video festgehaltenen Schilderungen und die unbefangenen Fragen und Kommentare der Kinder verdeutlichen die damaligen Diskriminierungen fast deutlicher, als seine politischen Reden; etwa wenn er von Fahrten im Gepäckwagen der Bundesbahn erzählt.

Gusti Steiner erlebte das In-Kraft-Treten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland leider nicht mehr. Er verstarb zehn Jahre nach Einführung des Benachteiligungsverbotes von Menschen mit Behinderungen im Grundgesetz am 12. Juni 2004. Sein Nachlass, darunter zahlreiche handschriftliche Aufzeichnungen wird vom Dortmunder Verein MOBILE – Selbstbestimmtes Leben Behinderter verwaltet. Im Vorstand dieses 1983 auch von Gusti Steiner mitgegründeten Vereins sitzt Birgit Rothenburg, selbst lange Jahre behindertenpolitisch aktiv und enge Wegbegleiterin von Gusti Steiner.

Du fehlst uns Gusti! Happy Birthday!

Hier der Link zum Video

https://www.youtube.com/watch?v=FRyC55jtx2g

Und eine umfangreiche Autobiographische Schilderung von ihm selbst auf der Seite von Forsa

https://gemeinwohlwohnen.de/wp-content/uploads/2018/10/ForseA-20-Jahre-Assistenz-Gusti-Steiner-Wie-alles-anfing-Konsequenzen-politischer-Behindertenselbsthilfe.pdf